Verfolgungen

28.07.2019

"Ich sah, dass der Staat einfältig ist, [...], dass er seine Freunde nicht von seinen Feinden unterscheiden kann, und ich verlor die geringe Achtung vor ihm, die noch übrig war, und bedauerte ihn." Henry David Thoreau in 'Über die Pflicht zum zivilen Ungehorsam gegen den Staat'

Die mühsamen und respektlosen Verfolgungen passieren täglich. Kaum habe ich einen Polizei-Checkpoint erfolgreich gemeistert, warten die Töffs, Dreiradwagen und Polizeiautos auf das subversive, äusserst gefährliche Objekt. Damit meine ich keinesfalls eine Eskortierung. Die ist zwar nicht minder sinnlos, basiert immerhin auf Ehrlichkeit. Es wird gar freundlich darauf hingewiesen, dass man mir den Weg zeigen wolle (dass es sich hierbei vielfach um Strassen ohne Kreuzungen handelt, sei am Rande erwähnt. Na gut, E.T. ist auch in die Luft gefahren).

Zurück zur unaufrichtigen Verfolgung: damit ich keinen Verdacht schöpfe, fahren die Verfolger teilweise weit hinter mir her. Manchmal gibt es sogar Ablösungen, um besonders unauffällig zu wirken. Der Ideenreichtum der Beamten reicht sogar so weit, dass sie mich überholen und bei der nächsten Tankstelle einbiegen. Das fiktive Tanken dauert allerdings zu kurz. Die mit Stacheldraht, Eisenstangen, Stahlrohren, Nagelteppichen und Sicherheitswärtern nicht minder als Schulen gesicherten Tankstellen, können nicht in diesem Eilverfahren durchbrochen werden, damit ich nicht schon zu lange unbeobachtet bliebe. In dieser Zeit könnte sehr viel passieren und der Schaden den ich anrichten könnte, wäre immens. So biegt das Verfolgerfahrzeug zuverlässig, ohne je getankt zu haben, wieder auf die Strasse ein und nimmt die Verfolgung wieder auf.

Damit die Verfolgungen mir ein bisschen Freude bereiten, muss es mein selbstverständliches Ziel sein, die Verfolger zu täuschen, in die Irre zu führen, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Das gelingt in Städten besonders erfolgreich, da ich die gute Veloinfrastruktur benutzen kann und etwas schneller an den Kreuzungen bin. Abhängen kann da ein probates Mittel sein, auch wenn es selten lange dauert, bis der Verfolger einen wieder entdeckt hat. Genussvoller sind die Kreuzungen. Hierzu bediene ich mich den Ampelanlagen, die mit Sekundenanzeige ausgestattet sind. Es ist ein leichtes, kurz bevor es rot wird, noch einen Schwenker in die andere Richtung zu machen, bevor der Verfolger von der heranbrausenden Automasse umhüllt wird.

Einmal bin ich so zielstrebig auf eine Kreuzung gefahren, dass mir just im Moment des Passierens, die zu fahrende Richtung entfallen ist. Mit dem überraschenden Bremser bei Grün hat der Verfolger nicht gerechnet. Der Nissan rollt langsam auf die Kreuzung zu, bremst allerdings nicht ab. Mitten auf der stattlichen Kreuzung - leider war ich mir noch immer nicht im Klaren, welchen Weg ich einzuschlagen habe - bleibt der Wagen stehen. Doch oh weh, es wurde rot und das Auto umzingelt. Wieso steht es mitten auf der Kreuzung? Soll es links oder rechts überholt werden? Ein Moment des Chaos setzt ein, das in China zuverlässig mit Hupen einhergeht - wie ich dieses Spiel geniesse.

Dankbar sind auch die verfolgenden Fussgänger. Dass es jene Spezies gibt, davon würde in meinem schlimmsten Traum nicht handeln. Durch ungeschickt lautes Telefonieren wurde ich erst auf den Herren im türkisfarbenen Hemd aufmerksam. Jene Spezies wartet in der Hotellobby auf mich und verlässt das Gebäude kurz nach mir. Doch gehe ich vielleicht nur kurz etwas einkaufen und bringe mein Zeug prompt zurück ins Zimmer. Nein, doch ein Spaziergang, der Herr soll sich etwas bewegen und nicht nur sein Hosenmuster im Lederimitat des Sofas einprägen. Ich gehe runter bis zur Kreuzung, zielstrebig werde ich verfolgt. Es scheint mir, als habe ich meinen Pass vergessen. Ja, den benötige ich unbedingt. Ich mache eine glaubhafte Pirouette und gehe zurück ins Zimmer. Etwas später komme ich wieder. Der Spion sitzt erneut auf dem Sofa und drückt etwas auf seinem Natel herum. Unsere Blicke treffen sich. Ich schmunzle.

Spannend sind wiederum die Kreuzungen mit Fussgängerstreifen. Einmal im Uhrzeigersinn herumlaufen. Wie schön der Platz ist! Noch in die Gegenrichtung, ich kann mich kaum sattsehen. Da eine Unterführung! Ich steige hinab. Nein, das ist wohl die Falsche gewesen. Ich steige wieder ans Tageslicht. Da ist keine andere. Ich steige wieder hinab. Der Verfolger macht alles brav mit, mustert irgendwelche Plakate, schaut immer wieder auf die Uhr oder aufs Natel, wenn ich ihm entgegenkomme. Das sind die einstudierten Szenen. Er spielt unbekümmert einen Passanten. Vermutlich hat er nicht gemerkt, dass ich ihn längst entlarvt habe. Immerhin bewegt er sich, das ist gut so!

© 2023 Sandro's Reiseblog. Alle Rechte vorbehalten.
Unterstützt von Webnode
Erstellen Sie Ihre Webseite gratis! Diese Website wurde mit Webnode erstellt. Erstellen Sie Ihre eigene Seite noch heute kostenfrei! Los geht´s