Wassermelonen

04.08.2019

Nachdem jüngst viele negative Einträge eingegangen sind, soll hier auf erfreuliches hingewiesen werden: auf Wassermelonen. Nichts kann mir grössere Freude bereiten, als die ellipsoidische Frucht mit ihrer harten, grünschwarz gemusterten Schale, dem wässrigen, süssen Fruchtfleisch und den schwarzen Kernen. Sie stillt den Durst, kühlt und bietet eine psychologisch nicht zu unterschätzende Hilfeleistung. Eine wahre Freude wenn der Kopf sich über die Frucht beugen kann, die von beiden Händen fest umklammert wird. Zunächst das süsse Wasser schlürfend, dann das kühle Fleisch geniessend. Der Vorgang kann sich abermals wiederholen, denn die Frucht ist gross und mein Verlangen nach ihr ebenso.
Form und Gewicht lassen einen Kauf für eine Einzelperson zu selten rechtfertigen, zumal der Transport auf meinem Vehikel nicht unkompliziert ist. Dennoch komme ich häufig in den wunderbaren Genuss dieser Frucht. Sie wird mir grosszügig ausgehändigt. Ob der Tankstellenwärter, der Polizeibeamte, der LKW-Fahrer, ob Uiguren oder Reisende, jeder besteht darauf, mir durchaus grosszügige Schnitze zu geben. Mein Widerstand ein solches Angebot auszuschlagen ist in der Regel äusserst gering. Die Frucht ist wie gemacht zum Teilen. So begünstigt die Wassermelone nicht zuletzt den sozialen Austausch.
Freude und Leid liegen in China nahe beieinander. Ganz unerwartet erhalte ich am Polizeicheckpoint Nummer 29, der Provinz Ostturkestan (chinesisch: Xinjiang), meinen Pass zurück. Dazu gibt's eine ganze Wassermelone. Mehrere Kilogramm Genuss, nur für mich!? Ich könnte den Beamten umarmen, meine Freude ist grenzenlos. Zumal am morgigen Tag die erste Wüstenetappe ohne Einkaufsmöglichkeit bevorsteht. Ich schmiede Pläne, wie ich sie schneiden soll, wann ich wieviel davon Essen soll und wie ich deren Austrocknung verhindern kann. Ich befestige sie auf meiner Tasche, viele Alternativen gibt es nicht. Obwohl das Mehrgewicht beachtlich ist, fahre ich voller Energie in den Abend hinein. 2 km später vernehme ich ein dumpfes Geräusch, als schlug soeben ein Wasserballon auf den Asphalt auf. Mein Blick zurück bricht mir das Herz. Die grosse, unhandliche Frucht hat sich aus meinen Fängen befreit und liegt schwer verletzt auf der Strasse. Hysterisch rette ich, was zu retten ist. Ein kleiner Teil ist unwiederbringlich verloren, ein guter Teil muss ich Zwangsverspeisen. Etwa die Hälfte kann ich retten, verpacken und verbinden, diesmal ganz sorgfältig. Ich fahre weiter, erhebe allerdings schwere Vorwürfe gegen mich...
Ein anderes nennenswertes Erlebnis hatte ich in einem Dorf, in welchem ich meinen Wasservorrat aufstocken musste. Ich fragte zwei Uiguren am Wegesrand, wo sich hier mein Vorhaben umsetzen liesse. Die zwei Herren konnten offenbar kein Chinesisch lesen, wobei eine Drittperson herbeigezogen wurde, die mir den Weg erklärte. Ein Hupen meines Verfolgers schüchterte die Männer so ein, dass sie zurückwichen und mich nicht mehr beachteten. Soso, hier darf ich nicht einmal mehr kommunizieren. Enttäuscht wollte ich losfahren, als einer der Männer mit einer roten Frucht zu mir kam: ein riesiges Stück Wassermelone, stark gekühlt, das Fleisch von der süssesten Sorte, ganz triefend. Wie schnell ich das Intermezzo vergass und mich ganz und gar der Frucht widmete.

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