Wassermelonen
Nachdem jüngst viele negative
Einträge eingegangen sind, soll hier auf erfreuliches hingewiesen werden: auf Wassermelonen.
Nichts kann mir grössere Freude bereiten, als die ellipsoidische Frucht mit
ihrer harten, grünschwarz gemusterten Schale, dem wässrigen, süssen
Fruchtfleisch und den schwarzen Kernen. Sie stillt den Durst, kühlt und bietet
eine psychologisch nicht zu unterschätzende Hilfeleistung. Eine wahre Freude
wenn der Kopf sich über die Frucht beugen kann, die von beiden Händen fest
umklammert wird. Zunächst das süsse Wasser schlürfend, dann das kühle Fleisch
geniessend. Der Vorgang kann sich abermals wiederholen, denn die Frucht ist
gross und mein Verlangen nach ihr ebenso.
Form und Gewicht lassen einen Kauf für eine Einzelperson zu selten
rechtfertigen, zumal der Transport auf meinem Vehikel nicht unkompliziert ist.
Dennoch komme ich häufig in den wunderbaren Genuss dieser Frucht. Sie wird mir
grosszügig ausgehändigt. Ob der Tankstellenwärter, der Polizeibeamte, der
LKW-Fahrer, ob Uiguren oder Reisende, jeder besteht darauf, mir durchaus
grosszügige Schnitze zu geben. Mein Widerstand ein solches Angebot auszuschlagen
ist in der Regel äusserst gering. Die Frucht ist wie gemacht zum Teilen. So
begünstigt die Wassermelone nicht zuletzt den sozialen Austausch.
Freude und Leid liegen in China nahe beieinander. Ganz unerwartet erhalte ich
am Polizeicheckpoint Nummer 29, der Provinz Ostturkestan (chinesisch: Xinjiang), meinen Pass zurück. Dazu
gibt's eine ganze Wassermelone. Mehrere Kilogramm Genuss, nur für mich!? Ich
könnte den Beamten umarmen, meine Freude ist grenzenlos. Zumal am morgigen Tag
die erste Wüstenetappe ohne Einkaufsmöglichkeit bevorsteht. Ich schmiede Pläne,
wie ich sie schneiden soll, wann ich wieviel davon Essen soll und wie ich deren
Austrocknung verhindern kann. Ich befestige sie auf meiner Tasche, viele
Alternativen gibt es nicht. Obwohl das Mehrgewicht beachtlich ist, fahre ich
voller Energie in den Abend hinein. 2 km später vernehme ich ein dumpfes
Geräusch, als schlug soeben ein Wasserballon auf den Asphalt auf. Mein Blick
zurück bricht mir das Herz. Die grosse, unhandliche Frucht hat sich aus meinen
Fängen befreit und liegt schwer verletzt auf der Strasse. Hysterisch rette ich,
was zu retten ist. Ein kleiner Teil ist unwiederbringlich verloren, ein
guter Teil muss ich Zwangsverspeisen. Etwa die Hälfte kann ich retten,
verpacken und verbinden, diesmal ganz sorgfältig. Ich fahre weiter, erhebe
allerdings schwere Vorwürfe gegen mich...
Ein anderes nennenswertes Erlebnis hatte ich in einem Dorf, in welchem ich
meinen Wasservorrat aufstocken musste. Ich fragte zwei Uiguren am Wegesrand, wo
sich hier mein Vorhaben umsetzen liesse. Die zwei Herren konnten offenbar kein Chinesisch lesen, wobei eine Drittperson herbeigezogen wurde, die mir den Weg
erklärte. Ein Hupen meines Verfolgers schüchterte die Männer so ein, dass sie
zurückwichen und mich nicht mehr beachteten. Soso, hier darf ich nicht einmal
mehr kommunizieren. Enttäuscht wollte ich losfahren, als einer der Männer mit
einer roten Frucht zu mir kam: ein riesiges Stück Wassermelone, stark gekühlt,
das Fleisch von der süssesten Sorte, ganz triefend. Wie schnell ich das Intermezzo
vergass und mich ganz und gar der Frucht widmete.