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17.06.2020

Vereinzelt zwitschern Vögel enthusiastisch dem nahenden Tag entgegen. Mich umgibt eine Dunkelheit, die durch die nahe Grossstadt erhellt wird. Ich installiere die Prismen für die Überwachung dieser Strasse, die bereits zur frühen Stunde lebendig ist. Heute gibt mir diese Autobahn Arbeit. Jenes monströse Ding, das selbst den rebellischen Ton des Helikopters absorbiert. Der Wind bläst mir widerspenstig ins Gesicht. Er wird durch den Sog der Lastwagen der Grossverteiler und Spediteure verursacht. Vertraut verrichtet das Tachymeter auf der Brücke seine Arbeit. Busse des ZVV lassen die Brücke kurz vibrieren. Für die Messungen ist das ungünstig. Der Bus 304 nach Dietikon sammelt die Leute ein, welche die Wartezeit mit einer Zigarette verkürzen. Ein paar Frauen sitzen auf dem Mäuerchen der Autobahnbrücke und unterhalten sich in einer lateinischen Sprache, ehe auch sie im Bus verschwinden. Aus dem entgegenkommenden Bus schlüpfen Frauen mit schneeweissen Kopftüchern heraus und Männer vom Horn von Afrika, die im nahen Gewerbegebiet früh ihre Schicht beginnen.

Kurz vor sechs drängen sich so viele Automobile auf der breiten Strasse, dass der Verkehr gerade noch fliesst. Der Abstand zwischen den Fahrzeugen ist häufig zu knapp bemessen. Physik findet statt, auch wenn man sie nicht versteht, kommen mir die Worte eines Deutschen Ingenieurs in den Sinn. Die Messdaten habe ich fertig gesammelt. Ich steige die Böschung hinunter und montiere die Prismen ab. Bald werden Bauarbeiter mit schweren Maschinen die Geräuschkulisse aufmischen. Einzelne Kellerasseln haben sich vom Grün der Böschung auf das Grau des Pannenstreifens verirrt und drehen verstört im Lichtkegel meiner Stirnlampe im Kreis herum. Jetzt fällt mir das Schild mit der idyllischen Silhouette auf, das Grossmünster und Limmat schemenhaft in unglücklichen braunrostigen Farben kokettiert. Unverfroren steht es am Rand vor dieser Brücke und versucht, seinen Marketingauftrag trotz Baustelle zu erfüllen. Im grauen Hochhaus der Vorstadt - jenseits von Ästhetik agierende Klotzarchitektur - strahlen kühle Lichter in die Morgendämmerung. Die Schweizer Postkartenidylle scheint weit entfernt. Ein letztes mal blicke ich auf die Autobahn, auf der die Autos nur noch im Schrittempo rollen und kontrolliere, ob ich alles Material eingesammelt habe. Ich frage mich, weshalb wir das machen? Schliesse die Tür des Fahrzeugs, starte den Motor, drehe die Musik der Lovebugs lauter und fahre ab. Nun emittiere auch ich jenen grässlichen Lärm, um die Messinstrumente und mich fortzubewegen. Gut fühle ich mich nicht dabei.

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