Das war Japan

07.12.2019

Nach annähernd zwei Monaten und mehr als 4000 geradelten Kilometern ist es angebracht, ein paar Zeilen über das Land im fernen Osten zu verfassen.

In Japan war ich so fern meiner Heimat wie noch nie in meinem Leben. Trotzdem keimte das Gefühl auf, ich nähere mich der Schweiz ein Stück weit. So wurde mir die Tür aufgehalten, wenn ich ein Kaufhaus betrat, man grüsste mich im Vorbeigehen, man hält die Strassen sauber, hat einen höflichen Umgangston, die Züge werden so häufig benutzt wie bei uns, die mindestens so zuverlässig sind. Trotzdem hat jeder ein Auto und trotzdem sind die Strassen schockierend voll. Ich konnte wieder Brot kaufen, fand Milch und Müsli im Supermarkt. Es wird Sport getrieben in allen Facetten und zum ersten Mal hielt man mich nicht mehr für verrückt, weil ich ein Velofahrer aus Europa bin. Es ist eine männerdominierte Gesellschaft, in der die Frauen ihren Beruf nach dem Kinderkriegen aufgeben. Die Leute sind immer ein bisschen gestresst, immer ein bisschen in Eile. Die häufigste nicht natürliche Todesursache ist der Selbstmord. Psychische Probleme und Leistungsdruck sind gegenwärtig und werden verschwiegen wie bei uns. Es gibt die mit langen Brennweiten bestücken Eisenbahnromantiker, die alle noch so unspektakulären Antriebswagen bei eisigem Wind mit Stativ und Nikon-Kamera ablichten. Es ist unübersehbar, dass weit im Osten ein westliches Land existiert, dessen Leute eine ähnliche Alltagsbewältigung pflegen. Im Gegensatz sind die Traditionen doch unterschiedlich. Da ist die Verneigung beim Grüssen und Danken, die Stäbchen zum Essen. Die Schrift besteht aus Zeichen und geschlafen wird auf dem Boden.

Übergewicht ist nur ein Randphänomen. Ältere Menschen sind erstaunlich fit und sehr aktiv. Ihr teilweise enormes Alter schätze ich schnell zehn, 15 Jahre jünger ein.

Japan, das sind auch die klaren Flüsse und das trinkbare Leitungswasser. Das sind die endlosen, dunklen Wälder und kristallenen Seen. Das sind die Vulkane und Berge, das Meer und die Felsen, der Strand und das Wasser, die Skigebiete und Schluchten. Es sind die wunderschönen, gepflegten Gärten, die Sauberkeit und Ordnung, die Effizienz und Disziplin. Es ist die Eitelkeit, Höflichkeit und die Verbeugung. Es ist das Stilvolle und die Schuluniform mit dem Rock und Kniesocken für junge Frauen und Krawatte mit Kittel für junge Männer. Es sind die einsamen, beharrlichen Demonstranten und die rüstigen Rentner, die perfekt ausgerüsteten Camper und die zahlreichen Fischer. Es sind die Meerestierdelikatessen und der Sake (Reiswein), die Getränkeautomaten und die Überversorgung, die Münzkassen und der Mundschutz. Es sind die Mangas (berühmte und beliebte Comics) und die Schiebetür. Es ist die Bewegung, der Baseball, Golf und die Liebe zum Sport. Es sind die Spielhallen, Streichelcafes und Karaokebars. Es sind die grossen Zeitungen und die Roboter. Es ist das Platzsparende, Kleine mit den Liftparkhäusern und den mehrstöckigen Verkehrswegen. Es sind die vielen Züge und leere Busse mit uniformierten Chauffeuren. Es sind die Ampelkreuzungen, der hohe Motorisierungsgrad und Veloparkhäuser. Es ist das Land, indem die Uhrzeit nicht mit der Tageszeit (Helligkeit) übereinstimmt. Es ist ein Land der akustischen Ruhe, des homogenen Reichtums und der grossen Mittelschicht. Das Land der Bäder und friedlichen Hunde. Das Land mit vielen Naturkatastrophen und das Arrangieren damit.

Für mich ist es eine der bewundernswertesten Gesellschaften, die ich auf meinen Reisen entdeckt habe. Nach zwei Monaten habe ich das Land längst lieb gewonnen.

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