Was für eine Gesellschaft

29.11.2019

Manchmal geschieht es, dass ich mich auf eine Parkbank setzte und dem Treiben auf der Strasse fröne. Was für eine bewundernswerte Gesellschaft, denke ich mir. Ich schaue mir an, wie die gepflegten, grazilen Körper über den Gehsteig huschen, den Gang eher im Laufen führend. Keine Tritte, keine Aggression ist auszumachen. Kein Körper berührt den anderen. Stehen sich zwei Leute gegenüber, die auf dieselbe Seite ausweichen, ertönt es beidseitig entschuldigend, die Oberkörper anschliessend verbeugend. Auf der Strasse ist kein Abfall zu erkennen. Nicht einmal einen Zigarettenstümmel entdecke ich. Geraucht werden darf nur in den vorgesehenen kleinen Zonen am Rande des Platzes. Nirgendwo sichte ich Abfalleimer und dennoch könnte an Ort und Stelle eine Herztransplantation stattfinden. Im Notfall würden die vielen sterilen Strassen mühelos die Kriterien eines Feldlazaretts erfüllen.

Ich beobachte ferner, wie ein schwarzer Toyota Comfort von einem Herrn im perfekt sitzenden Anzug angehalten wird. Sein Haar ist grau meliert. Er ist vom Mitsubishi-Aufzug direkt auf das Trottoir geplatzt. Nun spiegelt sich seine Aktentasche in der schwarzen Kühlerhaube, auf der sich die silbernen Seitenspiegel befinden. Der in die Jahre gekommene Taxifahrer nickt dem Kunden mit seinem Hut sanft zu. Die Krawatte sitzt makellos, wie auch sein Gilet und Kittel. Das hölzerne Lenkrad wird von den weissen Handschuhen edel umfasst, bevor der Blinker gesetzt und behutsam auf der Strasse beschleunigt wird.

Neben der stilvollen Rabatte belädt eine junge Mutter das Panasonic-Elektrovelo mit Kindern und den erstandenen Lebensmitteln. Vorne und hinten befindet sich je ein Kindersitzchen. Ein Schirmhalter ist am rechten Lenkerrand befestigt. Er gehört zur Standardausrüstung. Viele öffnen ihn, wenn es regnet oder die Sonne scheint. Der Schirm wird hybrid und häufig genutzt. So finden sich anstelle der Abfalleimer, nicht selten Schirmhalter vor den Geschäften. Parkanlagen weisen nebst den Informationsbroschüren stets eine Handvoll Schirme auf, die wie selbstverständ-lich zum Inventar gehören und alle Besuchende benutzen dürfen.

Ein kleines Mädchen erscheint in meinem Blickfeld. Es dürfte erst wenige Wochen lang laufen können. Dem Alter entsprechend gäbe ich dem kleinen Geschöpf eine ordentliche Haltungsnote. Die im anthrazitenen Filzrock gekleidete Mutter scheint jedoch vor Furcht dem Zickzack ihrer Tochter zu folgen, wie ein Provinzial-Engel, um bei einem potenziellen Sturz prompt einzugreifen, bevor sich Tränen bilden können. Die italienischen Mammas würden vor Neid erblassen...

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