Die Maske

23.09.2020

Kaum ein Gegenstand ist derart forsch in unser Leben gedrungen, wie die Gesichtsmaske in diesem Jahr. Von einem Bekenntnis dieser Maske zu sprechen, wie es Yukio Mishima in seinem beherzten Roman ausdrückt, wäre vermessen. Obwohl sich eine subjektive Mehrheit an diesen mund- und nasenverbergende Gegenstand zu gewöhnen scheint, treten in beharrlicher Anzahl renitente Verhaltensweisen zum Vorschein, dessen basalen Gedankenlosigkeiten bei mir hin und wieder ein leichtes Kopfschütteln bis Schmunzeln entlocken. Durch scheinbar nichtige Ausprägungen wird dennoch unmissverständlich dargestellt, dass diese Maske persönlich negiert, jedoch nicht dem mutigen zivilen Ungehorsam gefrönt wird. So verzögert sich das Bekleiden der Maske je nach Gesinnung unter dem mal belustigend, mal schockierten Publikum. Ein gewisses Verständnis mag man greisen Personen am Gehstock entgegenbringen, die alleine dem Umstand gewidmet, die Tür geschweige denn den richtigen Niederflurbus zu finden, ein hohes Mass an Überforderung zeigen. Die Maske kommt nun sichtlich ungelegen. Keuchend und nicht selten hörbar röchelnd, platzen sie sich auf den erstbesten Sitzplatz und erholen sich von der soeben bewältigten Tortur. Viele greifen anschliessend unaufgefordert in ihre Tasche und entlocken im knisternden Zellophan eine meist schon kontaminierte Maske. Bleibt dieser Akt zu lange unausgeführt, muss mit den ersten Interventionen begleitender Passagiere gerechnet werden. Bei unvernünftigen Gemütern folgen Begründungen die von Klaustrophobie über potenzielle Schreikrämpfe der an den Händen geführten Enkel reichen, welche verdeutlichen, dass die kreativen Ausreden der Kindheitstage an Nichts eingebüsst haben. Auch beim Ausstieg kann oft nicht lange genug gewartet werden, bis die Maske vom Leib gerissen wird. Aus der Tür kann teilweise noch nicht einmal ein Luftzug entweichen, ehe sich die Ungeduld nicht länger foltern lässt und die Maske enthusiastisch gepackt wird. Hin und wieder fliegen Brillen durch die Luft, deren Bügel sich mit dem Maskenband verknotet haben oder es resultieren Reibungsverbrennungen am hinteren Ohransatz die aus allzu barbarischen Entledigungen resultieren.

Stoffmasken werden hierzulande mehr von geldsensiblen jungen Leuten getragen oder von einer ökologisch affinen Klientel. Mal sind diese eher langweilig uni gefärbt, andererseits vermögen gewisse das komplexe Muster der Bluse zu adaptieren. In Zeiten emotionsloser Fussballtristesse bekennen einige Farbe für ihren Lieblingsverein, sei es der amtierende Sieger der Königsklasse oder nur der fünftklassige Lokalverein. Zeitlos sind politische Symbole wie die Friedenstaube mit Ölzweig im Schnabel oder die regenbogenfarbene Flagge der LGBQT-Bewegung. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass vielerorts eine einfältige Maskenkreativität grassiert, die sich nicht prompt ergründen lässt. Es besteht die latente Hoffnung, dass sich die auferlegte Maskenpflicht mit der Zeit als modischer Glücksfall herausstellen könnte.

Kuriose Ausformungen, wie sie zu Beginn der Pandemie zu Tage traten, sind zwar seltener geworden. Unvergessen bleibt der gehende Mann auf dem General-Guisan-Quai - kurz bevor dieser mit Metallgittern brachial gesperrt wurde - der sich mit seiner eigenen Hand gegen die kleinen Tröpfchen schützte, die er in beachtlicher Kadenz fortwährend in die Umgebung schleuderte. Da diese Form des Schutzes nicht unangestrengt bleibt, wechselte er die linke und rechte Hand in regelmässigen Intervallen ab. Ab und zu werden Schals mühevoll und mehrlagig um den Hals bis hinauf zum Kiefer gewickelt. Plexiglasvisiere werden von einer anderen Minorität getragen. Mittellose und semikreative Geister kramen Gratisblätter zusammen und verbergen das Gesicht zwischen der bedruckten Zellulose und der Busscheibe. Bei einer grösseren Masse reicht der gute Wille nicht bis zur Ziellinie und sie verbergen nur ihren Mund und entblössen die virusanfällige Nase in kläglicher frische.

Es lässt sich resümieren, dass die verborgene Mimik eine gefühlsarme Aura enstehen lässt, die durch die bunten Charaktere und Maskenchoreos teilweise kompensiert werden.

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