Die Rückkehr

19.12.2019

Es ist ein bewegender Moment. Viel ruhiger als im fernen Osten rollen die Wagen der Eisenbahn auf den helvetischen Schienensträngen. Das hochgeschobene Verdunkelungsrollo lässt die noch jungfräuliche Landschaft offenbaren. Das vertraute Sarganser Schloss thront so stolz wie je am Berg. Es geht schnell, das noch mässig zersiedelte Seeztal entlang. Dann erblicke ich schon den Walensee mit den mächtigen, angepuderten Churfirsten. Die Augen werden langsam feucht, die Haut verwandelt sich wie bei einer frostigen Berührung. Ja, so sieht die Heimat aus. Nach der Überquerung des Linthkanals lindert die emotionale Stimmung merklich. Es folgt der kurze Eintritt in die Innerschweiz, wo vor Jahrhunderten die Schwyzer die March und Höfe den reformierten Zürchern entwendeten. Heute stehen Villen von Tennisstars, Chirurgen und solventen Expatriates in der Gegend. Endlich wird mir das Frühstück serviert, das mich geschmacklich nochmals ins Tirol bringt, während die Wagen den Zürichsee zu berühren scheinen. Mit dem fortschreitenden Tagesanbruch klettert das Lumen dem Maximum entgegen. Ein letzter Schluck aus dem Becher, indem die Schokolade bereits lauwarm schwappt, während der Zug im dunklen Schlund des Zimmerbergtunnels verschwindet. Am anderen Ende warten schon die mondäne Stadt Zürich, der Hauptbahnhof (HB) und die Europa-Allee.

Mein Zwillingsbruder Silvan steht zuverlässig vor dem Eingang. Die warme Umarmung ist kurz. Ich kann nicht weinen. Freude beherrscht mich. Ich habe mich lange nach diesem Moment gesehnt.

Wir müssen den Velokarton herausschleppen. Der berüchtigte Menschenstrom am HB verschlingt uns. Endlich befreien wir das Velo aus dem Karton, auf dem nur noch die Kanji-Zeichen an den Inselstaat im fernen Osten erinnern. Zwischen Betonmauern, auf weissem Stein, schrauben wir die Einzelteile zusammen, damit das Gefährt wieder meinem Velo ähnelt. Unser Gespräch überschlägt sich, immer wieder Lachen. Wir sind langsam. Vermutlich werden wir die selbstgesetzte Ankunftszeit verpassen. In der Schweiz muss man pünktlich sein. Das ist mir noch immer wichtig. Vermutlich gehöre ich immer noch zu diesem Flecken Erde.

Endlich radle ich wieder. Nur nicht mehr allein. Alles kommt mir bekannt vor: Die gelben Velozeichen auf dem schwarzen Asphalt, die granitenen Randsteine, die gepflegten Häuser, das Hupen von Autos. Es gilt für mich. Was habe ich falsch gemacht? Die Beschilderung der Velowege ist sensationell. Wie klein die Stadt Zürich ist. Es geht entlang der Sihl in der die Dezembersonne funkelt und durch lichte Wälder. Die Nebelwand zeigt die Zürcher-Zuger-Kantonsgrenze erstaunlich zuverlässig an. Noch knurrt der Magen nicht. Dennoch entscheiden wir uns für das Restaurant des Grossverteilers, indem es nur noch zähe Schnitzel zu speisen gibt, bei der sich die Fleischfasern in den Zahnzwischenräumen festsetzen.

Der Nebel hinter Küssnacht lichtet sich und die Rigi grüsst uns treu. Hinter der Occasion-Garage erscheint die Silhouette des Pilatus. Eine Träne formiert sich. Ist es wahr? Ich bin zurück in meiner Heimat. Noch die steile Strasse hinauf bis sich der Vierwaldstättersee zeigt. Die Aussicht ist phänomenal. Hinter dem Gedenkstein ein Velofahrer. Wir sind nicht die einzigen. Seltsam, ein Fanschal von BORBA-Luzern ist feinsäuberlich platziert. Manu hat mich überrascht. Was für eine Ehre vom fundierten Sportkenner und vermutlich sportlichsten (noch) Bewohner der Stadt Luzern begrüsst zu werden. Zu dritt fahren wir das letzte Stück durch den Forst, biegen ein in die Auffahrt. Mit "Trychle", Glocke und Schweizerfähnchen werde ich begrüsst. Zahlreiche Hände winken mir entgegen. Es folgen feuchte Augen und Umarmungen. Lebkuchen, rezenter Käse, getrocknete Rohwurst und Glühwein werden mir angeboten. Alle prosten sie mir zu, was im Grunde falsch ist. Wie viele Leute haben mit mir gelitten und sich für mich gefreut? Wie viele Lesende hatte dieser Blog?

Nie hätte ich erwartet, dass meine Fahrt auf solches Interesse stösst. Vielen Dank für die Unterstützung und den herzlichen Empfang. Es ist schön, wieder bei euch zu sein.

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