Fünf Sterne auf rotem Grund

20.09.2019

Obrigkeitsgetreu werden sie auf Bambusleitern mirakulös aufgehängt. Die Suva könnte einige Szenen zu einem probaten Werbevideo zusammenschneiden. So hängen sie, flatternd im Dunst der Grossstadt und bringen einen Farbtupfer in die grauen Strassen. Oft baumeln sie bloss darnieder, wie die Äste der Trauerweide und warten, bis der Wind die Falten wie eine Anti-Age-Creme glättet. Für die runde Geburtstagsfeier haben sie zu wehen, bevor sie wieder in der dunklen Mottenkiste verstaut werden.

Vor den steinernen Hüter des Qin-Kaisers steht ebenso ein beachtliches, aber noch vitales Heer bereit, das die gelben fünf Sterne hin und her schwenkt. Unter der Anleitung einer Taktangeberin wird der Drill hörbar. Doch die Sterne stehen sich noch erschreckend windschief gegenüber. Selbst die Höhe erreicht noch nicht jene Perfektion, wie sie von einem Staat gewünscht wird, der sich zum 70. Jahrestag zelebriert. Gottseidank ist der Geburtstag noch Tage entfernt. Wer nach stundenlanger Knochenarbeit immer noch nicht fähig ist, das Fähnchen mit der Masse zu schwenken, den kann man vorsorglich bestimmt in ein Arbeits- und Umerziehungslager (ver)stecken.

Enttäuschen vermag das uneinheitlich verwendete Gestänge. Neben Bambus und Holzstängelchen wird auch Metall, hier vorwiegend Aluminium, Eisen und Chromstahl, verwendet. Die entwürdigendste Art der Stängelchen ist aus farbigen Polymeren gefertigt. Auch die Aufhängung obliegt dem Eigentümer. So werden Deckenverkleidungen durchbohrt oder die Fahne wird am Bachsteinkamin mit Draht befestigt. Schlussendlich ist die Dimensionierung der Flaggen uneinheitlich, wenngleich, aufgrund der geometrischen Bedingungen, kongruent. Ich wünschte mir hier von der Volksrepublik nicht nur lasche Vorschriften, dass eine Fahne gehisst werden muss, sondern auch, wie gross sie zu sein hat und in welchem Winkel sie aufgehängt werden muss. Ferner soll die Windgeschwindigkeit und deren Richtung vorgegeben werden. In einem Land, wo Bäume und Toiletten nummeriert sind und die Bewohnenden und deren Meinungen normiert werden, ist die uneinheitliche Fahnenaufmachung wie ein Fremdkörper im System. Aber vielleicht zeigt sie, was China im Herzen geblieben ist: ein chaotisches Land. Den Charakter kann man mit 70 Jahren nicht mehr so leicht ändern.

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