Suhzou

04.10.2019

Nach Wuxi folgt Suhzou. Hinter dem breiten Kanal und der Platane verbirgt sich das Schild, das die Stadt ankündigt. Über dem nächsten Kanal, nur ein paar Querstrassen liegen dazwischen, wird die Entfernung nach Suhzou auf 26 Kilometer angegeben. Dieses Durcheinander ist moralisch unvorteilhaft für einen Velofahrer. Wie sich zeigen sollte, sind die Angaben keinesfalls falsch. Das Zentrum liegt tatsächlich noch einige Kilometer entfernt. Bei mehr als zehn Millionen Einwohnern, die die Stadt bevölkern, erscheint die Information plausibel zu sein.

Der Schweiss rinnt mir die Stirn hinunter und wird von der Merinowolle meines T-Shirts absorbiert. Heute reicht das Quecksilber erneut bis zum dicken Strich, der die 30 Grad Celsius markiert. Die 90% Luftfeuchtigkeit können sich als Verursacher des Schwitzens kaum aus der Verantwortung ziehen. Die Klimaanlagen, der mal olivgrünen, mal orangenen Wohntürme, tropfen aufs Trottoir. Meine Konzentration ist auf die Elektroroller gerichtet, die mich wie ein Schwarm Sardinen umzingeln. Unebene Schachtdeckel lassen mich alle zwanzig Meter durchschütteln. Riesige Einkaufszentren buhlen mit Adi Dasslers Marke und Kentucky Fried Chicken um Kundschaft, die grössten von ihnen besitzen gar ein zensiertes Lichtspielhaus. Dahinter überquere ich die eisernen Schienen eines Trams, dessen Bedeutung in der chinesischen Stadtplanung stiefmütterlich behandelt wird. Ältere Frauen schlagen sich mit Silikon-Morgensternen auf den Rücken, während sie sich die neusten Geschichten austauschen. Nach einigen Glaspalästen, die bis in die Wolken reichen und überquerten Strassen, die das Anthropozän eindrücklich darstellen, erscheinen kleinere Kanäle, die von Bogenbrücken überspannt sind und von Drachendächern eingefasst werden. Ich scheine mich dem Zentrum angenähert zu haben, welche die Tafel am Stadtrand anzeigte.

Später finde ich mich in einem Garten wieder, der eingemauert, in prächtigen historischen Bauten, von fremden Blicken verschont bleibt. Wege aus Steinböden, Drachendach-Pavillons und Teiche, Pinien, Zypressen und Orchideen erquicken mich. Ein Ort, geschaffen als Quelle kreativen Schöpfens. Diese Harmonie vermag mich nicht weniger zu inspirieren, wie Hauptmanns Villa Wiesenstein im Riesengebirge.

Dort wo ich es zuallerletzt vermutet habe, in einer Megastadt, dessen Name ich erst seit heute kenne, treffe ich auf historische Gebäude, die ich in China viel häufiger ersehnt hätte. Jahrhundertealtes Kulturgut hat es nur selten in die Gegenwart geschafft, wie schade.

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