Kopenhagen? Utrecht? Was, auf Hokkaidō!?

23.10.2019

Die emsigen Rentner hatte ich im Blickfeld, die bei noch tiefstehender Sonne kollektiv ihren Abschlag verbesserten. Ganz beiläufig entdeckten meine Augen ein Schild mit einem eigenwillig dargestellten Velofahrenden drauf, ohne dass ich dem darunterliegenden Pfeil folgte. Die Strasse 39 schien mir bald keine probate Alternative zu sein, wenngleich sich der motorisierte Verkehr in Grenzen hielt. Lediglich ein zaghaft überholender Daihatsu befuhr zu jener Zeit die Strasse, dessen Fahrerin einen weiss gepunkteten Hut trug, der erst kurz vor der Frontscheibe den Bogen zurück zur Trägerin machte.

Neben dem rasenmähenden Platzwart - obschon er nur die verwelkten Blätter der Ahorn verschwinden liess - bog ich auf den Veloweg ein. Wobei Veloweg möglicherweise Assoziationen zu einem kläglich gepflegten, kurzen Teilstück hervorrufen, das neben einer Hauptstrasse entlangführt. Das war er mitnichten, vielmehr sollte die Bezeichnung Velostrasse oder Velobahn verwendet werden. Vor mir lag eine richtungsgetrennte Strasse aus perfektem, reibungsverminderndem Asphalt-Flüsterbelag. Die Seiten- und Mittellinien reflektierten das Sonnenlicht. 35 Kilometer, befreit von den Autostrassen, auf einem gänzlich eigenen Trassee, lagen vor mir. Eine Velostrasse mit Zu- und Abfahrten, mit einer kreuzungsfreien Linienführung. Brücken und Unterführungen umgehen den Kontakt zu Bahnlinien und Strassen. Schilder weisen auf die zurückgelegte Distanz hin, auf Ortschaften und Pärke in der Nähe. Baustellen werden gleich signalisiert, wie auf Autostrassen. Selbst die Prozentangabe für Steigungen- und Gefälle fehlt nicht. Eine ordentliche Raststätte, lädt zum Verweilen ein.

So glitt ich über den Asphalt und hörte die Frösche quaken, sah, wie sich der Schilf mit dem Wind beugte, wie die gelben Blätter der Birken tanzten, erkannte, wie Wildgänse über meinem Haupt in Pfeilformation dahinschwebten. Dabei atmete ich die vom nahen Fluss aufgefrischte Luft ein. Ein letzter Blick schweifte zu den verschneiten Gipfeln im Osten, wo sich etwas unterhalb eine Nebelschwade in den Baumkronen verstrickt hat. Velofahren mit sämtlichen Sinnen ist das. Das ist weder in Kopenhagen, noch in Utrecht geschehen, sondern auf einem dünn besiedelten Landstreifen auf Japans nördlicher Insel Hokkaidō.

In mancherlei Perfektionen mag ich zwischen Japan und der Schweiz Parallelen erkennen, kann mir jedoch nicht vorstellen, dass es bei uns bald etwas Ähnliches geben wird, auch wenn der Souverän kürzlich die Bundesverfassung um einen vielversprechenden Artikel anwachsen liess. Dagegen schwirren mir noch Sätze mit Kraftausdrücken in den Synapsen umher, die nachträglich aufgrund einiger Bratwurstständen und Luftballons für Kinder, bei der Einweihung eines weitaus harmloseren Stück Velowegs in Luzerns Süden, geäussert wurden. 

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