Pilger

03.09.2019

Ein regelmässiges Klatschen von Metall auf Asphalt vernehme ich. Durch die Neugier getrieben, öffne ich den Schlitz meines Zeltes und spähe hinaus. Meine Pupillen fahren die Landstrasse von Ost nach West ab. Zunächst scheine ich den Hall nicht zu identifizieren. Erst nach einer Weile, sehe ich einen Mann in buddhistischer Mönchskutte. Seine Bewegungen sind rhythmisch und regelmässig, geraten durch meine Anwesenheit etwas ins Stocken. Ein Schritt, ein zweiter Schritt, die Hände stark schwingend, danach mit den Knien zu Boden sinkend, den Körper auf der Strasse ganz ausstreckend, eine Zeitlang so verharrend bis die Arme und Beine zucken und der Körper sich wieder erhebt. Ein Schritt, ein zweiter Schritt,... Vor dem Mann liegen 130 Kilometer Stein- und Sandwüste, bis die nächste Siedlung erscheint. Völlig beeindruckt von dieser Leistung nehme ich Apfel und Wasser und gehe zu dem Manne, dessen Blick mich schon lange fixiert hat. Tatsächlich pilgert er nach Lhasa, immer in gleicher Manier. Er trägt Gummi-Schütze an Füssen und Händen, die Knie hält er durch den weinroten Rock vergraben. Dazu hat er ein minimales Rucksäcken an, das kaum gefüllt ist. Nachweislich befindet sich darin nur sein Smartphone, das er nach unserem Gespräch zückt. Meine Gabe nimmt er dankend und voller Freude entgegen. Ich winke ihm anschliessend nach. Er wartet noch eine Weile und schreitet dann unbeirrt voran, sinkt zu Boden, steht wieder auf. Fortwährend auf die Tafel zu, auf der die Distanz zu Golmud auf 250 Kilometer angegeben wird...

Pilgern begegne ich immer wieder. Alle sind auf der Reise ins okkupierte Tibet. Sie sind mit Handwagen ausgestattet, die vom einfachen Plastikverdeck bis zu halben Wohnwagen reichen, die Dächer über dem Gehbereich beinhalten. Zur Ruhe legen sie sich in die Box, in der sich häufig eine einfache Küche befindet. Strom produzieren die Solarzellen auf dem Dach. Alle winken sie mir zu und sind fröhlich gelaunt. Einige hängen an der Stange des Wagens und kommen kaum voran. Andere befinden sich im Videochat, in welchem ich auftreten soll. Die Turnschuhe, die sie tragen, sind für solche Märsche nicht ausgelegt. Eine junge Frau schiebt sogar einen pinken Rollkoffer im Wagen mit. Auch sonst erinnert ihre Erscheinung mehr an eine urbane Person aus Chongqing, erst recht als die Kreischlaute beginnen, als sie mich erblickt.

Die Begegnungen sind eine bereichernde Abwechslung zur Monotonie der Landschaft. Vor einer solchen Leistung kann ich nur den Hut zücken. Und während ich in zwei, drei Tagen diese Ebene geschafft habe, sind sie vielleicht Wochen darin und sehen ewig, wie die Strasse im Horizont zu einem Punkt verschmilzt. 

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