War das mein Traum?

14.12.2019

Ausschnitt einer Nachricht an meinen Bruder Silvan vom 20. November 2019:

"[...] Bei mir kommt das Ende der Reise immer näher und langsam, langsam begreife ich, was hier endet. Und wenn Sandro an ein Ende denkt, dann wird es immer melancholisch. Als ich mitten in der Reise war, da funktioniert ich, wie im Arbeitsleben. Ich genoss, ich verzweifelte, ich machte immer weiter, ohne das zu begreifen, was ich machte. Es machte mir einfach Freude. Und immer, wenn ich Fotos von anderen Velofahrenden sehe (von Sunhild und Lars, mit denen ich mich viel austausche, mit David Münch oder auch Noémie und Clément), dann werde ich inspiriert. Dass ich selbst einer von ihnen bin, vergesse ich, was ich seltsam finde. Vor einigen Wochen, du hast es bestimmt gemerkt, da freute ich mich einfach, dass das Ende bald kommt. Dass Europa und die offene, mir vertraute Welt zurückkommen wird. Doch habe ich mich so sehr an das Velo und die vorbeiziehende Welt gewöhnt, dass ich mir gar nicht vorstellen will, dass das alles endet. Ich habe alles dabei. Mein ganzes Leben hat Platz in ein paar Taschen, die ich mir ans eigene Gefährt hänge. Als ich dann vor das Hotel in Tokio fuhr und die Touristen mit ihren Rollkoffern sah, die Etiketten des Flugreise betrachtete, wie sie aus Paris, Frankfurt und Denver heranströmen, wurde mir bewusst, was ich getan habe. Ein gutes Gefühl überkam mich, mit dem eigenen Gefährt in Japan vorzufahren, mit dem man vor der eigenen Haustür in der Büttenen gestartet ist. Wie die vergrauten Verbundsteine der Überbauung wechselten, zum Waldboden des Meggerwaldes, zur Asphaltpiste am Zürichsee, zu den Velowegen in Deutschland und Österreich, wo noch so viel Schnee lag. Es ging übers hundertjährige, jämmerliche Kopfsteinpflaster von Tschernowitz, über schwere, schlaglochgesäumte Strassen von Georgien und Armenien. In den Iran, wo die Strassen so gut waren, bis zu den autokratischen, verkümmerten Wüstenstrassen Turkmenistans. Meine Räder haben die Zentralasiatischen Wege befahren, die in Taschkent genial waren und in Kirgisstan aus Naturstrassen bestanden. Sie haben ferner gute chinesische Strassen befahren, aber auch Sand, Wasser und Schlamm kontaktiert und sind bis nach Japan mit seinen rissigen, spurrillenen Strassen an den Rand gedrängt worden. (Fast) jeden Zentimeter habe ich von Luzern bis nach Japan selbst zurückgelegt und gesehen, wie die Kulturen und Landschaften änderten. Und ich habe gesehen, wie wir die Welt verändern und unseren Planeten zerstören. Es wurde mir bewusst, dass wir unsere Intelligenz überschätzen, masslos. In Wirklichkeit sind wir kümmerliche, arme Seelen, die sich selbst für viel zu wichtig halten. 

[...] Das Reisen mit dem Velo ist so etwas Wunderbares und ich habe mir vorgenommen in Zukunft vermehrt auf dieses Gefährt zu setzen und ganz bewusst, die Momente zu geniessen, egal wo auf diesem Trabanten ich mich aufhalte."

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