Warten (auf bessere Zeiten?)

24.08.2019

Als ich die Grenze zu China passierte, glaubte ich zum ersten Mal, dass ich es tatsächlich bis nach Japan schaffen kann. Ich fühlte mich in guter Verfassung, habe die strengen Strecken in Kirgisstan erfolgreich gemeistert. Ich kannte mein Velo, wusste wo die besten Schlafplätze liegen, kannte den Umgang mit der Bevölkerung, wie und wo ich Proviant zu besorgen habe und wie man sich vor Gewittern schützt. Ich glaubte, dass ich mich durchaus angepasst habe, an dieses Leben auf zwei Rädern.

Die ersten Kontrollen des Gepäcks, des Natels und die Verfolgungen nimmst du noch einigermassen gelassen hin. Doch du merkst, dass es allmählich zum Normalzustand wird und hast Mühe das zu akzeptieren. Die Verfolgungen reissen nicht ab. Dein Natel wird so selbstverständlich kontrolliert, als sei die Privatsphäre nicht einmal im Entferntesten ein Begriff. Bilder mit Minaretten drauf, werden dokumentiert (dass es sich um das Welterbe des Registan in Samarkand handelt, bleibt unwichtig). Du darfst nicht mit Uiguren sprechen. Dein Zelt wird mitten in der Nacht von Polizisten mit Blaulicht aufgesucht. Scheinwerfer von Taschenlampen blenden dich. Du wirst abgeführt. Polizisten fotografieren dich abermals von allen Seiten. Dein Gepäck wird untersucht, das Velo mit Eisenstangen abgeklopft. Sie verlangen deine Telefonnummer. Du wirst im Supermarkt begleitet und man schaut dir beim Geldabheben zu. Dann kommt die Wüste wo du der Hitze und den Sandstürmen trotzt und freust dich sehr, als die Berge kommen. Bald erkennst du, dass dahinter wieder Sand und Wind dominieren. Der Zustand des Innenlagers wird prekärer, vermutlich wirst du nicht mehr lange fahren können. Notdürftig versuchst du, das Lager zu flicken. Am selben Abend weht eine Böe dein Zelt hunderte Meter weit. Es überschlägt sich abermals. Die Distanz zwischen dir und dem Zelt wird immer grösser, bis es aus deinen Augen verschwindet, obwohl du um dein Leben rennst. Irgendwann bleibt es in einer Sandmulde beschädigt stecken. Einen Tag drauf geht dein Antrieb nicht mehr. Ein Lastwagen bringt dich in die nächste Stadt, 300 km entfernt. Dort merkst du, dass dein eBook Reader geborsten ist. Er ist einem Hitzetod erlegen. Dann fällt dir die Keramik-Füllung aus dem Stockzahn, worauf du zum Zahnarzt musst. Das starke Heimweh nach den Repressionen und der Wüste hast du hinter dir gelassen, doch stellst du dir die Frage, ob nicht jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, um zu sagen, das war's. Nach Peking fahren und dann mit dem Zug nach Hause gehen. 14'000 km hast du immerhin geschafft. Doch du erkennst, was du für deinen Traum geopfert hast. Nicht zuletzt hast du deine Anstellung gekündigt, um diese Erfahrungen zu erleben. Du fasst neuen Mut, bestellst die Ersatzteile und nimmst Abstand vom Velo. Du besichtigst, Klöster und Städte und wanderst einen heiligen Berg hinauf.

Bald sind drei Wochen ohne Velofahren vergangen. Allmählich möchte ich weiter, das Verlangen und die Freude, bis es weitergeht, sind angewachsen. Noch muss ich mich ein paar Tage in Golmud gedulden. Es sind rituelle Abläufe, die mich in der chinesischen Provinz die Zeit todschlagen lassen. Ich laufe entlang lebloser Boulevards. Die Bäume von Chausseen werden wie Mangroven geflutet. Gegen die neuen Kaufhäuser haben es die Fruchtverkäufer mit ihren Dreiradwagen schwer. Streunende Hunde umgarnen Passanten. Ich weiche zu Boden gebrachtem Speichel aus. Die Dämmung der Fassade vom neuen Wohnturm erreicht das 20. Stockwerk. Strassenverkäufer bieten Plastikspielzeuge an, die nach nicht allzu langer Zeit, auf der Mülldeponie landen werden. Ein Mann im schweren Stuttgarter Vehikel, überfährt beinahe den Knaben, der unschuldig die Sojabohnen-Glace lutscht, weil er mich als ausserirdisches Wesen zu betrachten hat. Die Räder der Rollbretter und Kickboards der Kinder leuchten bei Dunkelheit, nicht aber die Scheinwerfer der Wagen auf den Reissbrett-Strassen. Unter den Armen der Trauerweiden, spielen alte Menschen ein Brettspiel, lautlos und flink. Nicht gerade typische Adjektive für China und ich werde sie gewiss nach meiner Reise nicht mit diesem Land assoziieren.

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