Wo bist du?

28.05.2021

Wo bist du? Verdammt, was habe ich nur gemacht? Wenn du dich einfach melden könntest! Irgendwie! Wieso kann es mir nicht wie dem Traffikant in Robert Seetalers Roman ergehen? Haben sich unsere Wege tatsächlich umsonst gekreuzt?

Eigentlich war ich doch wegen dieser Velogeschichte nach Zürich gefahren und habe nur zur Stärkung der aufregenden Abendstunden mein Teigwarensalat auf der Parkbank am Bükliplatz geköstigt. Dann erst erblickte ich dein graziles Wesen das auf dieser Brüstungssäule schmiegte. Meine Augen liessen sich so schwerlich mehr von dir abwenden, was ich offenbar kaum zu verbergen wusste. Gekonnt hast du mit meiner Aufmerksamkeit gespielt, mal ein Zwinkern zu mir gesendet, mich mal verschmitzt angelächelt. Wie war ich von dir angetan. Du wusstest dich geschickt zu inszenieren. Vergnügt hast du ein bisschen von deinem Sauerteigbrot abgetrennt und genüsslich verzehrt. Der Schluck Mineralwasser hat dich ermutigt, den feinsten Hüftschritt auszupacken, damit du über den gelben Kiesel zu mir huschen konntest, um mich mit der belanglosen Bitte zu konfrontieren, dich mit der Kamera einzufangen. Ja, ich durfte dich ein paar Sekunden filmen, wie du über den glitzernden See schautest. Der weisse Alpenfirn am Horizont hat die pittoreske Stimmung komplettiert.

Du schwärmtest danach von Zürich, dieser ruhigen und geordneten Stadt, die so ohne die Münchner Hektik zurechtkommt. Sieben Jahre - viel zu lange - hättest du in der bayrischen Kapitale verbracht, obwohl du schon länger in die Schweiz kommen wolltest. Einmal hast du dich gar für eine Saison in einem Nobelhotel in St. Moritz verdingt, bis du ernüchtert wieder nach München zurückkehrtest. Du weihtest mich in deine künftigen Pläne ein, wie du zuerst Luzern und Bern besuchen möchtest. Du hättest jetzt viel Zeit, da du dein altes Leben in München hinter dir gelassen und deinen Job gekündigt hast. Vielleicht würdest du deine Freundin aus Warschau als Consultant beistehen, die in Luzern ein Glacevelo erstanden haben soll und schon alle behördlichen Bewilligungen erhalten hätte.

Freudig schmiedeten wir mehr oder weniger verbindliche Pläne, uns wieder in Luzern zu treffen. Wir könnten zusammen Pedalo fahren, Glace essen, einander anspritzen und dabei herzlich lachen. Einen schönen Abend könnten wir verbringen und bestimmt hättest du mir erste polnische Vokabeln beigebracht. Deine coronaunkonfrome Abschiedsumarmung war voller Wärme und Herzlichkeit, so dass ich danach leicht tanzend die Strasse querte, wo bereits eine bunte Schar von Velofahrenden lauerte. Was wir zu diesem Zeitpunkt beide nicht wussten ist, dass ich dir in der Aufregung die falsche Natelnummer angegeben haben muss. Denn die Nummer die ich eintippte und den Anruf, den ich danach tätigte, fand den Weg nie auf mein Natel. In der akut herrschenden Glückseligkeit hielt ich es nicht für nötig, auf meinem Handy den Anruf zu kontrollieren und den peinlichen Missstand aufzudecken. Deine Nachrichten die du bestimmt an die Nummer gesendet hast, konnten mich nie erreichen.

Wie wahrscheinlich ist es, dich ein zweites Mal zu treffen? Deinem offenen, treuherzigen, interessanten Wesen ein zweites Mal zu begegnen? Etwa so wahrscheinlich, wie zweimal einen Lottosechser zu erzielen? Oder so wahrscheinlich, wie wenn die Schweiz im Handball Europameister wird? Oder wie wenn Palmyra wieder auferstehen würde? Nein, diese Chance bietet sich mir wohl nicht wieder, ich bin eben kein glückseliger Traffikant.

Angetrieben durch diese ernüchternde Erkenntnis habe ich mich trotzdem aufgebäumt und dich physisch gesucht. Du weiss nicht, dass ich die halbe Altstadt verzweifelt abgesucht habe. Dir ist nicht bewusst, dass ich am Samstag und Sonntag mehrere Stunden hoffnungsvoll um das Seebecken gelaufen bin, nur um dich auf einer Säule oder der Brüstungsmauer am Quai zu entdecken, dich mit einem breiten Grinsen zu überraschen. Vergeblich!

Ich habe mir sogar ein temporäres Instagram-Konto zugelegt, in der aufkeimenden Hoffnung unter allen möglichen und unmöglichen Hashtags dich auf irgendeinem Bild wiederzufinden. Vergeblich!

Ist es wirklich möglich, dass ich einen Menschen wie dich treffen kann, auf die urklassische Art? Dass das nicht nur in den schnulzigen Telenovelas stattfindet, habe ich bis zuletzt kaum mehr geglaubt. Und dann mein verfluchtes Unvermögen. Wie dumm von mir. Wie kann das sein?

Alles was mir bleibt, ist die glasklare Erinnerung an dich und mein persönlicher Groll, dass ich es vermasselt habe. Und nun denkst du vermutlich, was das für ein bornierter Idiot war, der sich mit mir so nett unterhielt und mir vorsätzlich eine falsche Nummer gab.

Es ist schwer erträglich, dich vielleicht in nur ein paar hundert Metern Entfernung von mir zu wissen, ohne dich aufzuspüren, ohne dich zu erblicken. Irgendwo zwischen den Fassaden dieser Stadt wirst du dich aufhalten. Vielleicht blickst du ebenso entzückt wie ich auf die schwimmversuche der neugeborenen Schwäne auf dem See? Vielleicht siehst du auch zu den verschneiten Alpen hinauf?

Mein einziger Anhaltspunkt ist deine Freundin mit dem Glacevelo. Sollte ich sie dereinst auf unseren Strassen entdecken, werde ich sie mit Fragen über dich überfallen. Bitte hab so lange Geduld und vergiss mich nicht!

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